Lesetipp: Outfits

Lesetipp: Outfits

2020 hatte auch good news: Unsere Wepsert-Member Heike Fröhlich und Ricarda Kiel haben zusammen einen Gedichtband veröffentlicht! Beim Materialien Verlag erschienen ihre Outfit-Gedichte. Ein famoses Chapbook, in dem jedes Gedicht einem Outfit gewidmet ist. Ob ihr lyrische Tips für euer “Outfit für die Postapokalypse” braucht oder doch eher für ein “Outfit für die Polizeiaufnahmeprüfung”, ihr werdet auf eure Kosten kommen, versprochen! Hier ein kleiner Lobgesang auf unsere Kolleg*innen <3

Kleidung verschafft ihrer Träger*in Selbstbewusstsein, macht sie aber auch verletzlich

Feminismus und Kleidung ging schon immer zusammen und damit meine ich nicht die in ausbeutenden Konditionen produzierten “Girlpower”-T-Shirts von H&M. Von den Suffragetten über die Hosenträger*innen Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, Repräsentation von Queerness und Zugehörigkeiten zu sexuellen Minderheiten, Afrofuturismus und politischen Statements: Kleidung entfaltet Persönlichkeit, bringt Meinung zum Ausdruck, verschafft ihrer Träger:in Selbstbewusstsein und Selbstbestimmungsklarheit. Gleichzeitig macht sie uns auch verletzlich, angreifbar, offenbart Status, Klasse, Zugehörigkeit und ist feministisches Streitthema. Die Outfit-Gedichte in dem liebevoll selbst designten Chapbook von Heike und Ricarda loten genau diese Räume aus.

Eine dritte Stimme entsteht

Als Insiderin weiß ich, dass Ricarda und Heike schon eine Weile gemeinsam diese Gedichte entwickelt haben. Die Freude, die es macht, Kooperationen zwischen Autor*innen im ansonsten oft einsamen literarischen Schaffen zu sehen, ist auch feministisch begründbar: Wir brauchen mehr Kooperationen, ob feministisch oder künstlerisch. Es tut gut, so ein Gemeinschaftsprojekt in den Händen zu halten, in dem jede Autorin ihre eigene Stimme klar hörbar macht, aber eben auch eine dritte Stimme entsteht, da wo sich die Stimmen beider überlappen, in einander schmelzen. Am Ende des Buches ist zwar aufgeschlüsselt, wer welches Gedicht letztlich geschrieben hat, es ist aber spürbar, wie eng und fließend, die beiden miteinander gearbeitet haben. Jedes Gedicht trägt den ganz eigenen Ton dieses Bandes in sich und gibt allein durch diese kollektive Stärke der cis-männlich dominierten kompetitiven Literaturwelt eine Watschen.

Fetischismus und Humor

Nun zu den Gedichten selbst: Sprachlich fein ausgearbeitet kleiden uns die Gedichte in ihre seltsamen Stofflichkeiten, ihre Körperlichkeit, ihre Absurditäten. Im Lupenblick streifen wir über die Outfits, teilweise bis in die Haut der Träger*innen hinein und sogar noch tiefer unter die Oberfläche. In fetischistischer, mit Humor überzogener Detailtreue (Beispiel: “Ajour-Bettjäckchen mit Satinbändchen, Cache-Coeur” (Mein Outfit für die Niederkunft) und “super-skinny-helle-braune-weiche Velourstights” (Mein Outfit zum Einschlafen I) ), überspitzen viele der Gedichte die Materialität, die Frauen oft vorgeworfene Oberflächlichkeit, ironisieren und erotisieren sie gleichzeitig: “Menthol, das brennt, Geruch von Rauch/ Copal neben der Matte aus Gras/ die Linienmuster in die Brüste drückt/ oder nackt in einem Felloverall, nur im Slip,/ ein Bursche kaut meine Mokassins warm” (Mein Outfit zum Einschlafen I). Weibliche, selbstbestimmte Sexualität findet viel Raum in den Gedichten, die Lust am eigenen Outfit, das manchmal mit dem Körper zu verschwimmen scheint: “du streichelst Nymphensittiche virtuos/ Hofvogel mit der rußigen Brust, Schauer/ Nasssein macht, dass Wasser hart wird” (Ricardenbad) und “ich trage keine Hose/ damit ich mich unterscheide/ich trage Falten/ denn ich habe genug Haut dafür” (Mein Outfit für einen Spaziergang). Ja, solche Lieblingszeilen gibt es viele in den Gedichten, die Frage nach der Verbindung des Außen und des Selbst wird gestellt, ausgelacht, dann wieder liebevoll gestreichelt. Dabei schwingt uns stehts ein empowernder, sich wehrender und Respekt einfordernder Grundgestus entgegen: “mein fieser Schlitz unter der Nase mit Malvenkulör/ beugt die Häupter, diese Rampe wird zur Galatreppe” (Mein Outfit für den Eintritt ins Seniorenheim) . Uns wird versichert: wir können uns Kleidung aneignen, zu eigen machen, so dass sie zu unserer Identität passt, die sich Gendernormen nicht unterordnen muss (Haare wie welches Tier? Wie ein Iltis und nass/Stirn begrenzt mit Babyhaaren, Mohair im Nacken/ sonst drapy, sanfte Wellen, fließend wie Stoff” (Mein Outfit für die Niederkunft). Kapitalismus und Patriarchat zum Trotz ist es möglich sich selbst zu schätzen und auch zulassen können von anderen geschätzt zu werden, vielleicht sogar ein bisschen Starallüre zu entwickeln: “aus Ventilatoren rauschender Applaus der Fans” (Mein Outfit für die Niederkunft).

“Wir haben ein Seufzen im Summen ersäuft , zusammen

mit ein paar Babys unfertiger Art”

Überhaupt, die Outfitgedichte zeichnen durch ihre Outfitentwürfe auch den weiblichen und nicht-binären Alltag nach: “ich trage Kittel und Latschen wie alle anderen/ ich trage Ohrringe/ hinten beim Holz halte ich ein Nest” (Mein Outfit für die Taghexe). Sie stürzen sich in alle Bereiche der Öffentlichkeit und Privatheit. Vom “Outfit für die Niederkunft”, über die Hexenoutfits (drei an der Zahl) bis hin zum “Outfit für den Eintritt ins Seniorenheim” greifen die Outfits feministische Kernthemen auf (Care-Arbeit, Geburt, Abtreibung, Sexualität, Alter, Spiritualität etc) und beleuchten mal ganz nüchtern, mal mit glamourösem Gestus, Felder in der Gesellschaft, in denen frau* auf Diskriminierung stößt: “dieses Outfit ist ein reines Hockoutfit/ weswegen auf gemessene Rocklänge hier/ keine Rücksicht genommen werden muss” (Mein Outfit für die Niederkunft). Dabei werden die Frauen und nicht-binären Menschen von außen zugewiesenen Schranken aufgesprengt und “im Summen ersäuft” (Hexenoutfit). Durch den Rythmus und den Witz in den Gedichten, macht es unendlich Spaß diese Parallelen, in all den “Carbonleibchen”, “Werkzeuggürteln”, “Samtblazer[n]”, “Laminiergerät[en]”, “Bremsengummi[s]”, “Merino Unterhosen” “Sicherheitsjacke[n]”, “Motorradbrille[n]”, “Büßerkleid[ern]” und “Ladylatz[en]” zu entdecken und sich wiederzuerkennen in Alltagsdiskriminierung und Befreiung: “profan: mit Atemluft einen Choker sprengen” (The Maulout).

Und jetzt noch exklusiv auf Wepsert zwei Gedichte aus dem Band für euch zum Lesen:

a

a

Mein Outfit zum Einschlafen I

bäuchlings ruhen

das Höschen aus hellgrauer Seide

Shirring am Bein und am Bauch

ein bauschiges schimmerndes Wasserloch

darüber super-skinny-helle-braune-weiche

Velourstights, die mir eine stille Assistentin

die dünnen Lippen immer verstemmt

einen Fuß zwischen die Lendengrübchen

mit gekreuzten Schnüren seitlich festgezurrt

Oberkörper bloß zwei Stellen sind da bloß

zwischen den Schulterblättern zwei

Reibe- und Massagepunkte für Bienenwachs

Menthol, das brennt, Geruch von Rauch

Copal neben der Matte aus Gras

die Linienmuster in die Brüste drückt

oder nackt in einem Felloverall, nur im Slip

ein Bursche kaut meine Mokassins warm

morgens dampft mein Körper wie Trockeneis

per Rohrpost nach Norden, narrativer Sprung

NBA-Wolf-und-Tier, NBA-Bär-und-Löwenhund

Fingerballen so groß wie meine Hand

das Geschirr für ein Biest, schmale Strippen

mit den Kniebeugen einhängen in Schlaufen

Steigbügel über dem Rist, auf dem Rist ich

Achterbahnspange über mein Becken, die klickt

abends blaue Flecken auf den Hüftknochen

ich darf mich auf deinen Rücken fesseln lassen

du trägst mich und du rennst durch den Schnee

ich trage dein Fell, das wärmend über mich weht

im Gewand verschwinde ich, löse mich auf

Auschnitt aus dem dem Band beigelegten ziemlich witzigen und charmanten Register

Auschnitt aus dem dem Band beigelegten ziemlich witzigen und charmanten Register

Outfit für die Postapokalypse

Auf jeden Fall Socken und Sandalen

grobe Sandalen natürlich damit ich mich nicht

an den Scherben der zerborstenen Scheiben schneide

und starke Socken

die ich mir selber knüpfe

aus Resten von Geschirrtüchern

an den langen Abenden mit dem Baby

in dem was mal eine Küche war

vor der mal Grillen zirpten

glaube ich

über den Füßen eine Hose

mit Wachs und Teer und Leinöl eingerieben

darüber eine Tunika mit etwas drunter

umwickelt mit Zwirn und Draht und Teppichstoff

und einer Weste drüber

eine Weste braucht man immer in der Postapokalypse

ich trage einen Werkzeuggürtel mit

drei verschiedenen Messern

eins davon leicht gekrümmt

Schraubenzieher Schraubenzwinge

einer feinen und einer raspelnden Hieb-1-Feile

einer guten Zange und einer Rolle Alufolie

Becherchen Schüsselchen Wasserflasche


Wer (hoffentlich) Lust bekommen hat, den Band ganz zu genießen: Hier könnt ihr ihn erwerben (unbezahlte Werbung); Der Materialien Verlag ist auch sonst sehr zu empfehlen, toller Independent Lyrik Verlag, weiblich und queer geführt.

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