The VVitch, feministisch geguckt

The VVitch, feministisch geguckt

Welchen feministischen Ertrag bringt das Ansehen von The Witch?

Ist man für feministische Themen sensibilisiert, ist es fast unmöglich, sich Filme nicht mit dieser Brille anzusehen. Im Fall von Robert Eggers Horrorfilm The Witch aus dem Jahr 2015 lohnt es sich, den Film (noch mal) unter den Gesichtspunkten anzusehen, was er über Geschlechterrollen erzählt. Er ist aktuell (Stand 27.02.2020) auf Netflix verfügbar.

Triggerwarnung: Sexualität, Gewalt
Spoiler Alert

Die Handlung in Kürze

USA, ca. 1630. Eine Siedlerfamilie in Neuengland wird aus ihrem Dorf verbannt, weil ihr Vater sich den Gruppenregeln nicht unterordnen will und seine Hardliner-Christlichkeit über alles stellt. Der:die Zuschauer:in folgt der Hauptfigur Thomasin, einem ca. 12-jährigen Mädchen, das mit Eltern und jüngeren Geschwistern in ein Häuschen am Waldrand zieht, wo sich die Familie mit Maisanbau, Hühnern und Ziegen selbstversorgen will.

Die beiden ältesten Kinder, Thomasin und ihr Bruder Caleb, werden stark in den Arbeitsalltag eingebunden, dabei entsprechend der Rollen, die die damalige Gesellschaft für sie vorsieht – der Junge hilft dem Vater zum Beispiel Jagen, Thomasin kümmert sich unter anderem mütterlich im ihre jüngeren Geschwister. Die beiden ältesten Kinder spüren die Überforderung der Eltern und übernehmen deswegen in Hauruckaktionen die Erwachsenenrolle.

Die Familie erlebt mehrere Unglücke, ein Baby verschwindet unter Thomasins Obhut, die Ernte verdirbt, und die Familie betet verzweifelt dagegen an, zunehmend entwickelt sich aber die Überzeugung, dass Thomasin einen Bund mit dem Teufel geschlossen haben muss, eine Hexe ist und für die Schicksalsschläge verantwortlich zeichnet.

Kernfamilie zum Abgewöhnen

Die Familienmotive, die sich in Kostüm und trüben Farben präsentieren, sind so sexistisch und schlimm, wie man sich das für diese Zeit vorstellt. Alle Familienmitglieder dienen dem Vater, er seinerseits ist überfordert und/oder unfähig; die ganze Familie hilft dabei, dies zu decken. Durch den Film sehen wir mit Thomasin die Eltern bei ihren Coping-Strategien, Beten, Holzhacken, patriarchal rumbossen (Vater) oder auch Beten, Heulen (Mutter) und man fühlt sich beim Gucken ausgeliefert und wund wie die nachts den elterlichen Krisengesprächen lauschenden Kinder. Oder wahlweise wütend über so viel Dummheit, religiösen Eifer, schädliche Strukturen und Unrecht.

Dies ist nichts Neues, wenn auch markant und schmerzhaft dargestellt – neu daran ist meine Privatassoziation zu aufs Land ziehenden Großstädtern und „Aussteigern“, die ebenso überfordert mit Gemüseanbau und Tierzucht sind, wie der struggelnde Vater des Films und bei denen ich hier und da eine ähnliches familiäres oder kommunardisches Sich-Ausgeliefert-Sein in der Isolation gesehen habe. (Allerdings kam es dort zu keinen Denunziationen als Hexe. Noch nicht.)

Albrecht Dürer: Die Hexe

Albrecht Dürer: Die Hexe

Wie wir die Hexe sehen

Antwort: Getreu historischer Darstellungen! Im Abspann des Films informiert dieser darüber, dass Berichte und Dokumente der damaligen Zeit in The Witch eingeflossen sind, bereits zu Beginn werden die Zuschauer:innen mit einer vertraut wirkenden Hexenästhetik konfrontiert, man denke alte Märchenbuchillustration, Dürer-Holzschnitte. Nackig, alter Frauenkörper, lange zottelige Haare. Die Hexe tut, was sie so klassischerweise tun: in ihrer Behausung im Wald Hexengebräu aus dem Baby anfertigen (vermute ich, sie nähert sich seinem Schnippi mit einem Messer), im Mörser rote Pampe rummörsern, Hexensalbe mit einem Besenstiel in die Schleimhaut der Vulva einmassieren, dann abheben und rumfliegen. Das entspricht dem, was die Figuren des Films vermutlich über Hexen zu wissen glauben. Gemeinsam mit Thomasin entdecken die Zuschauer:innen, was Hexendasein noch heißen könnte. Die hässliche alte Hexe funktioniert immer noch als abschreckendes Bild. Untermalt mit Gruselmusik ist der im Schatten liegende alte Körper, ihr befremdliches Tun unheimlich. Es macht Angst. Je nach Auseinandersetzung mit dem Thema mag man sich denken a) oha, gut gemachter Archetyp, oder b) aha, die Kultur- und Kunstgeschichte der Hexe, c) igitt, wie eine schrumpelige Oma, oder auch d) sieh an, das Abjekte nach Kristeva, dieser runzelige Frauenkörper, der mich jetzt ekeln soll. (Idee, falls purer Ekelreflex: Mal darüber nachdenken, warum, mal über historische Hexenhetze und die hängengebliebenen Bilder nachdenken.) Spannend an der Gegenüberstellung Mädchen - Hexe ist Thomasins Flirt mit ebendieser Hexe, die begehrt bzw. deren Lifestyle begehrt wird. Das ist, was das glatthäutig-taufrische Teenagermädchen zuletzt werden möchte. Und nicht nur sie flirtet mit der Hexe.

Thomasins wenige Jahre jüngerer Bruder Caleb begegnet der Hexe in einer anderen Form, ihm erscheint sie zunächst als hotte Disney-Hexe, die ihre Brüste prall und rund darbietet wie die böse Königin den vergifteten Apfel. Was zum nächsten Thema führt, Thomasins und Calebs (Prä-)Pubertät.

Grenzgängerin

Hexe, althochdeutsch Hagazussa, befindet sich auf dem Hag, der Hecke zwischen Natur und Menschenzuhause, oder am Waldrand zum Beispiel. Wie vom Besen links und rechts ein Bein herunterhängt, eines im Dies- und eines im Jenseits, so könnte man Thomasin auch mit einem Bein im Kind- mit dem anderen im Frausein sehen.

Coming-of-Age

Thomasin bekommt Brüste, wir folgen mehrere Male dem Blick ihres jüngeren Bruders, dem das nicht verborgen bleibt. Thomasin bekommt dann im Laufe des Films auch ihre erste Regelblutung, ein Signal für ihre Eltern, dass die ihre Älteste zum Dienen in einem anderen Haushalt wegschicken können, eine Sparmaßnahme.

Die Darstellung von Calebs erwachender Sexualität konzentriert sich auf das etwas flachere (Achtung, Kalauer: vielmehr sanft gewölbte) Thema Brüste. Der Bub interessiert sich einfach sehr dafür, und scheint unsicher, will einmal hingucken, mal bei seiner Schwester in einer zärtlich wiegenden, mütterlichem Umarmung daran liegen, Thomasin komisch kitzeln, er lässt sich von den Brüsten zur Hexe locken, die ihm seinen ersten Kuss gibt. Ihm fehlt Orientierung: Da ist Sexualität, nun wohin damit? Zur Mutterfigur große Schwester? Als Inzest? Oder doch zu Jesus? (dazu später)

Thomasins Frauwerden dagegen ist komplexer, sie kann es (spielerisch) formulieren und es beinhaltet nicht nur körperliches Begehren, sondern auch die Themen Macht und Freiheit, die Dimensionen Lebensgestaltung und Gesellschaft.

In einer Rede, die sie an ihre kleine Schwester richtet, und die ich ihre „Selbstermächtigungsrede“ sehe, fantasiert sie „Ich bin die Hexe aus dem Wald.“ und baut sich als taffe und kraftvoll-schreckliche Frau auf. Im Rollenspiel übt sie, wie sie das kleine Mädchen ängstigen kann, „Wie ich mich danach sehne, meine Zähne in dein rosa Fleisch zu schlagen“. Sie droht „Wenn es mir gefällt, lass ich alles und jeden verschwinden“. Das deutet schon früh an, was es auch bedeuten kann, zur Hexe zu werden: tun, was man will und eigene Bedürfnisse stillen.

Sex bei den Puritanern

… ist ein absolutes Tabu, absolut böse natürlich! Die Sündigkeit allein schon von Nacktheit wird im Film immer wieder betont. Wie der unheimliche Wald, bedrohlich und schwer zu kontrollieren, so werden auch die tierischen, sexuellen Anteile in der Familie behandelt. Dabei ist Sexualität potentiell gefährlich, wie sich in einem Angriff des Ziegenbocks „schwarzer Phillip“ auf den Vater zeigt. Der Bock bockt, stößt ihn, der Vater wird verwundet. Der Ziegenbock ist im Film übrigens der Teufel, der flüstert und verführt, und die Figur ist bereits jetzt Kult bei den Horrorfilmfans.

Ekstatischer Verzückung geben sich die Mutter und Caleb in ihrer Liebe zu Jesus hin, die für heutige Zuschauer:innen nur sexuell wirken kann. Besonders schön zeigt sich das in einer Besessenheitsszene, der einzigen sexuell besetzten Besessenheit an einem (prä-)pubertären Knaben im Film, die ich kenne. (Allein deswegen sehenswert!)

Yes, Jesus, omg yesss!

Caleb gerät in die Fänge der sexy Hex mit den Apfelbrüsten und wird hernach nackig (und vergewaltigt?) und im Regen liegend von seiner Familie wiedergefunden. Er ist krank, liegt benommen im Bett. War er bereits im Vorjahr an „Indianermagie“ erkrankt, liegt es für die Mutter nun auf der Hand, dass eine Hexe am Werk gewesen sein muss. Ist es Thomasin?

Caleb zeigt Anzeichen einer Besessenheit. Der Junge wird bedrängt zu sagen, wer Schuld ist. Die klassische Dynamik einer Hexenjagd oder eines Verhörs nimmt ihren Lauf. Schließlich beschuldigen die jüngeren Geschwister ihre Schwester, Thomasin wiederum ihre kleineren Geschwister – Denunziation nach dem Motto, „Irgendeiner im Raum muss ja die Hexe sein“. Hernach verstirbt Caleb, nachdem er abgehoben-erregt von einer Jesuserscheinung mit Küssen und Umarmungen erzählt hat.

Brustmetaphern

In einer Dokumentation über den Comiczeichner Robert Crumb (seines Zeichens ein „Beinemann“) wurde einmal die küchenpsychologische Typenlehre über den Fokus auf Körperteile aufgemacht: Je nach Vorliebe für Po, Vulva, Busen oder Beine handele es sich um einen anderen Charakter. The Witch ist in diesem Schema klar ein Busenfilm und kreist um Metaphern des Stillens und Melkens bei Tier, Mensch und Hexe. Das zeigt einerseits die Prüderie der christlichen Familie (à la „Frau ohne Unterleib“), aber auch wie schief das nur gehen kann, andererseits ist im realen ständigen Hunger der Familie auch eine Hungern nach Sexualität mitgemeint, wie es im Kinderfressen durch die Hexe, der erotisch-schrecklichen Stillfantasie der Mutter, im Lusthaben eben anklingt.

What’s the T?

Thomasin versucht es einmal mit Vernunft und konfrontiert ihren Vater. Das ist ihre zweite größere Rede und, finde ich, eine der stärksten Szenen des Films. „Ich bin keine Hexe, Vater!“, beginnt sie, nennt ihren Vater Heuchler und kanzelt ihn ab, „Ihr könnt nichts außer Holz hacken“. Thomasins Worte findet der Vater „teuflisch“, akzeptiert sie also nicht als Klartext seiner Tochter, und, mehr aus Verzweiflung, baut Thomasin aus und denunziert ihre Geschwister weiter, spinnt die Story um den Pakt mit dem schwarzen Phillip aus und man spürt, welche suggestive Kraft das Fantasieren schaft. Es funktioniert beim Vater, dieser springt drauf an und Thomasin ist aus dem Schneider. Das ist die volle Tragik, einem verrannten Typen etwas außerhalb seines eigenen Überzeugungsystems erklären zu wollen. So stelle ich mir vor, ist es, mit Incels zu reden.

Freiheit

Im Finale des Films (alle sterben) gibt es eine tolle Szene, die ich hervorheben möchte: Thomasin wirft ihre Mutter samt ihrer Vorwürfe (Du bist eine Hure, du hast meine Kinder getötet, usw.) ab, als diese als Leiche schwer auf ihr zu liegen kommt. Und dann: it’s Busentime again! Thomasin befreit ihre kleinen Brüste aus dem Mieder und setzt sich erst mal im Unterkleid hin, nachdenken. Endlich ist Ruhe, und, wenn ich richtig zähle, leben nur noch sie und der schwarze Philip. Thomasin hat sich befreit. Nicht nur von ihren Eltern, sondern auch von der Arbeit, der Sorge um ihre kleinen Geschwister. Der neue Lebensentwurf ist aber auch nicht das Dienen in einer fremden Familie, das vermutlich ähnlich ausgesehen hätte: Haushalt, Tiere, Kinderversorgung. Wie jetzt diese glücklich-unglückliche Situation für das Mädchen entstand, bleibt unklar, es wäre kein übernatürlicher Horrorfilm, wenn nicht mit der Frage, ob es nicht doch etwas Übernatürliches gibt, oder was wäre, wenn Thomasin wirklich die böse Hexe ist, die alle in ihr sehen, gespielt würde. Die Zuschauer:innen bekommen nur das stille Schlachtfeld präsentiert, in dem sich Thomasin wiederfindet und auf dem sie ihre Entscheidung trifft, ein ganz anderes Leben zu führen.

Wir hören, was der Pakt mit dem Teufel leisten kann: In einer intensiven Szene verspricht der schwarze Philip unter anderem ein „lustvolles Leben“, und dass Thomasin „die Welt sehen“ kann und Thomasin willigt ein. Nicht nur bekommt sie, was vielen Mädchen heute nicht mehr grundsätzlich verwehrt ist, sie gewinnt dazu noch eine neue Bezugsgruppe, eine Frauengemeinschaft im Wald. In der letzten Szene sieht man, wie sich Thomasin einem chantenden, nackt tanzenden Frauenkreis im Wald nähert; sie lacht befreit und hebt ab. They all float.

Lesetipp: Outfits

Lesetipp: Outfits

Gri|set|te, Substantiv, feminin

Gri|set|te, Substantiv, feminin